Von Michael Rudolph Pauly an Julius von Voß. Berlin, 2. April 1812. Donnerstag

P. bezieht sich auf Bemerkungen in V.s letztem Brief über das Verhältnis von Iffland zu V. und versichert, angeblich auf ein ausführliches Zitat aus dem letzten Gespräch mit I. zurückgreifend (in Wirklichkeit wörtlich auf einen Entwurf für die Briefstelle von Ifflands Hand), V. der hohen Wertschätzung von Seiten des Direktors. Dieser sei stets bereit, Beweise seiner Achtung zu geben, auch wenn diese nicht erkannt würden. Lessing sage, es sei leichter zu tadeln als vernünftig zu urteilen. In diesem Sinn beschwert sich P. über die Kritiken an Stücken und Aufführungen insbesondere in der Haude- und Spenerschen Zeitung. Es sei ein Irrtum, zu glauben, dass das höchste Ideal des Dramas erreicht sei; dieser Irrtum habe die Franzosen veranlasst, nach Corneille, Racine und Voltaire die Entwicklung ihrer Tragödie für abgeschlossen zu halten und alle Dramen ausschließlich daran zu messen. Die neuen dramatischen Dichtungen haben aber ihre eigene Poesie. Jede andere Sicht würde die Dichter zu sehr einengen und ganze Gattungen aus dem Kreis der Kunst ausschließen. Doch könne jede Gattung ein dramatisches Kunstwerk hervorbringen. Raffael, Teniers und Hogarth haben in ihren jeweiligen Gattungen Kunstwerke geschaffen. Nach Shakespeare solle das Drama die Zeitsitten in den feinsten Abstufungen spiegeln. Spezifisch für die deutsche Literatur scheint P. die Aneignung aller Gattungen und dichterischen Produktionen aller Zeiten und Völker zu sein. V. könnte derjenige sein, der die einengenden Ideen der neuen Schule, die bisher nichts Lebendiges erzeugt hat, berichtigt. Die französischen Schauspieler haben in der Begrenzung eine gewisse Vollendung erreicht, sind aber mit den deutschen, die ein viel disparateres Rollensprektrum bewältigen müssen, nicht zu vergleichen. Dasselbe gilt auch für die Bühne: Die französischen Bühnen sind spezialisiert, die deutschen nicht, sie haben das gesamte Repertoire zu bewältigen. Die Spezialisierung der Bühnen hätte Vorteile, käme den Staat aber teuer zu stehen; die Vorherrschaft eines Genres aber wäre schlimm. Der Charakter der deutschen Bühne ist Mannigfaltigkeit und Vielseitigkeit; sie ist bei der hiesigen Bühne das erste Princip, dem die Direction huldigt. Aber eben deshalb hat sie es mit keiner besondern Schule halten können und wollen. Die Theaterleitung habe sich um keinen Preis auf eine bestimmte Seite der Literaturentwicklung schlagen wollen und nur auf die Qualität der Stücke geachtet. Das hat zu bösartigen Kritiken gegen das Theater geführt, gegen die P. eine Antikritik zu erwecken wünscht. Es folgen Überlegungen, wie diese Kritik aussehen (keine Lobhudeleien!) und wo sie erscheinen müsste. V. könne sich das Honorar für Die Pfarre und Quint und Bätely am nächsten Montag abholen.

Von Julius von Voß an Michael Rudolph Pauly. Berlin, 4. April 1812. Samstag

Zunächst Begleitbrief zu den Bemerkungen über Die blühende und die verblühte Jungfer und Die Blume vom Ganges. V. wiederholt noch einmal, dass er nicht zu hoffen wagt, dass viel von ihm gegeben werde; er stellt mehrere Stück zur Auswahl und zeigt sich erfreut über das Interesse der Bühne für seine Stücke. Um vom Nationaltheater Schaden abzuwenden, betont er, dass er mehr an den Erfolg von "Die blühende und die verblühte Jungfer" als von Die Pfarre glaubt. Die umfangreiche Nachschrift ist eine Antwort auf Paulys Brief vom 2. April, den V. offenbar erst jetzt, zwei Tage später, in die Hand bekam. Er weist noch einmal daraufhin, dass das große Genie (Iffland) die Mittelmäßigkeit (ihn, Voß) nur verachten könne. V. erwartet, dass das, was er bezahlt bekomme, auch aufgeführt werde; und wenn er jetzt das Honorar für zwei Stücke erhalte, von denen beiden er nicht wisse, ob sie auf der Bühne gezeigt würde, nehme er es nur wegen der großen Verluste an, die er gemacht habe. Wenn von den vier Stücken Mustapha Bairacktar, Die blühende und die verblühte Jungfer, Die Blume vom Ganges und Die Schlacht von Calahorra keines tauge oder eines umgearbeitet werden müsse, so würde er es begrüßen, wenn ihm dies offen mitgeteilt würde. V. würde die Änderungen nach besten Kräften vornehmen, um das Stück auf die Bühne zu bringen. Das tue er bei Der falsche Bräutigam nicht mehr, dessen Zeit sei abgelaufen. V. habe übrigens den Text zu einer Oper David und Michel halbfertig bei sich liegen. Eitelkeit sei es nicht, dass er so viel liefere; und der Tag, an dem etwas von ihm gegeben werde, sei für ihn ein Angsttag. Aber er sei Schriftsteller und müsse mit der Feder gegen das Leben ankämpfen. Das Schwert habe er hinlegen müssen, weil man in Preußen keinen Offizier brauchen konnte, der Kriegskunst studiert habe. P. Abneigung gegen die Zeitungskritik teilt V. und führt eine Rezension aus der Haude- und Spenerschen Zeitung über Torquato Tasso an. Er hat sich überlegt zu antworten, ist aber generell über die Möglichkeiten einer Antikkritik skeptisch, schon weil er zweifelt, dass die Zeitungen sie drucken.

Von Julius von Voß an Michael Rudolph Pauly. Berlin, 12. Juni 1812. Freitag

V. hätte vernommen, dass eine Behörde die Aufführung seines Lustspiels Die Pfarre als unsittlich verboten hat. Nun werde seine Schuld beim Theater noch größer und er frage sich, wieviele Stücke er fertigen müsse, bis eines zur Aufführung gelangt. Dabei sei das Verbot ein Missversträndnis: Es sei doch nur sein Ziel gewesen, die Missbräuche bei der Besetzung von Predigerämtern anzuprangern, vor allem wenn die Grundherrschaft im Spiel sei. V. versteht angesichts der romantischen Verwicklung und der Komik den Vorwurf der Unsittlichkeit nicht. Sein Lustspiel enthalte keine anstößigen Stellen, wie sie Lustspiele in Frankreich oder auch in Deutschland enthielten (er nennt Beispiele). V. fühlt sich ungerecht behandelt, weil die Behörde nur einige wenige zweideutige Stellen zu nennen wisse und doch das ganze Stück für unsittlich erkläre. Dabei wäre er auch zu Anpassungen bereit gewesen. Außerdem entzieht sich die Argumentation seinem Verständnis: sollen keine religiösen Fragen auf die Bühne kommen, so erinnert V. als Gegenbeispiel an Zacharias Werners Die Weihe der Kraft. Endlich versteht V. nicht, weshalb man ihm die Zweifel, die eine Figur an den Wundern der Bibel äußere, vorwerfe. Diesen Zweifeln würde widersprochen; außerdem stünden sie in keinem Verhältnis zu Kotzebues Die Unglücklichen, wo der Prediger erkläre, er können nicht an das glauben, was er lehre! Da dem Theater bei einem solchen Verbot ebenso ein Nachteil drohe wie dem Autor, erwarte V., dass P. ihn im Kampf gegen das Verbot unterstütze. Von Mustapaha Bairacktar habe er nichts mehr gehört, wahrscheinlich sei das Stück von einer anderen Behörde verboten worden. V. bittet um Rücksendung jener Manuskripte, die keine Beachtung im Theater fänden: Die blühende und die verblühte Jungfer, Die geitzige Frau und Die Wunderlampe. In der Nachschrift vermerkt V., dass er die Einschätzung eines Geistlichen erfragt habe; sollte V. etwas über das Verbot drucken lassen, wird jener das Gutachten beibringen.

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