Von Friedrich Ludwig Zacharias Werner. Warschau, 15. Juni 1805.
Samstag
W. habe I.s Schreiben vom 29. Mai und 8. Juni (mit dem Brief an Herrn Uhden, den W. übergeben wolle) erhalten und danke
sehr. W könne seine Gefühle nicht schildern, mit I. in nähere Beziehung zu
kommen. W. sei unglücklich genug, I.s göttliche Menschendarstellung nur von
Hörensagen zu kennen. I.s Brief unterdrücke den Unmut, sein Trauerspiel nicht in Berlin aufgeführt zu sehen.
Läse I. den Prolog, würde er erkennen, dass das Stück nur die Einleitung eines
Zyklus sei, womit W. die deutsche Bühne auf einen neuen Standpunkt stellen
wolle. I. wisse selber, dass die ursprüngliche griechische Tragödie ein Teil des
religösen Kults und deren Bestimmung die Reinigung der Affekte gewesen sei
(Aristoteles). Mit dem Staat der
Helenen sei der religiöse Zweck der Tragödie verschwunden, die Römer hätten
nicht genug Kunstsinn gehabt, um sich zur Tragödie zu erheben. Mit Entstehung
des Katholizismus seien die Prozessionen, das Messopfer, die heiligen Gebräuche
zu Surrogaten des Schauspiels geworden. Jede Messe sei dem Volk in den besten
Zeiten eine heilige Tragödie gewesen. Mit dem Verfall der Religion sei der Kult
verfallen. Goethes kolossaler Kunstgenius
könne sich nicht zum Standpunkt des Volkes herablassen. Schiller scheine das gefühlt zu haben. Von seinen Räubern bis zu Wilhelm
Tell habe er uns das Bild des vollsten Menschenlebens entrollt.
Schiller sei ganz griechisch gebildet, das Romantische sei ihm nicht eigen
gewesen, das beweise die Jungfrau von Orleans.
Die christlich-romantische Religion habe Schiller nicht zugesagt. - Die
Lebenswelt der Griechen sei für uns heute nichts mehr als die Dresdener
Antikengalerie, durch die man bewundernd aber kalt gehe, um sich an Raffael und Correggio zu erwärmen. Zudem hätten die Franzosen die
griechischen Mythen entstellt. Der Ausweg aus der verlorenen Griechheit und der
prosaischen Wirklichkeit sei die Romantik und der romantische Mythenglaube. Der
moderne Tragödiendichter müsse, da die hellenische Mythenwelt zu nichts zu
gebrauchen sei, die christlich-katholische wieder aufstellen. W. kenne die Bühne
sehr gut. W.s Vater, Professors in
Königsberg, sei Zensor des Theaters
gewesen. W. kenne, was Aristoteles,
Diderot, Lessing und Engel über die
Bühne geschrieben haben. Kenne die Wirkung der Iphigenie, der Braut von Messina, der
Jungfrau von Orleans und des Donauweibchens. Das Kreuz
an der Ostsee habe das Vestibül zu seinem Kunsttempel sein sollen.
Aber I. habe ihn von dem Irrtum seines Plans überzeugt. Es habe W. sehr
geschmeichelt, dass I. die Hoffnung habe, W. könne einen Ersatz für Schiller
sein. – Es folgen Einlassungen auf I.s nicht überlieferte Bemerkungen zum Stück
Die Brautnacht [= 1. Teil von Das Kreuz an der Ostsee], das I. als nicht
spielbar abgelehnt habe. Zufolge I.s Wunsch wolle W. einen historischen Stoffe
wählen, I. möge ihm helfen und Vorschläge machen. W. gestehe, dass er erst etwas
Brauchbares liefern könne, wenn er zusammen mit I. an einem Ort lebe, sodass er
die Szenen bei der Entstehung I. mitteilen könne. – Es folgen ausführliche
Äußerungen über den geplanten zweiten Teil von Das Kreuz an der Ostsee. – W.
danke für die gütige Verwendung bei Beyme.
W. habe Herrn von Kleewitz seine
Aufwartung gemacht. W. wolle jedoch nicht in das Departement des Herrn von Voß. Der Herr Staatsminister von Schroetter interessiere sich für W., das wisse
er von Schroetter persönlich.